Paralympicsiegerin und Weltmeisterin Kirsten Bruhn im Interview mit dem Parentsmagazin-Hamburg - 01.12.2017:

Bitte stellen Sie sich kurz vor, liebe Kirsten Bruhn.

Geboren am 03.11.69 in Eutin als jüngstes von 5 Kindern.

 

Der Vater : pensionierter Oberkommissar, die Mutter: staatlich geprüfte Pedi- und Maniküre.

 

Abitur 1990, danach 1 Jahr AuPair in Amerika, New Jersey.

 

Seit dem 3. Lebensjahr mit dem Schwimmsport durch familiäre Indikationen verbunden ( Vater und Mutter, sowie die Geschwister sind/waren alle Leistungsschwimmer bzw. Wasserballspieler).

 

Leistungsschwimmen habe ich seit dem 10. Lebensjahr betrieben und war bei den Junioren wie auch bei den Senioren im Lande erfolgreich.

 

1991 sollte dann mein Privatstudium „Graphik und Design“ in Hamburg beginnen. Durch den Motorradunfall 1991 in Griechenland auf der Insel Kos, bei dem ich eine inkomplette Querschnittlähmung erlitten habe, konnte ich das Privatstudium nicht finanzieren und somit leider nicht antreten.

 

Danach habe ich das Schwimmen weniger als Leistungssport, denn als Eigenmobilisation (um beweglich und fit und zu bleiben) betrieben.

 

Nach zweijähriger Rehabilitation habe ich 1993 mit der Ausbildung zur Sozialversicherungsfachangestellten bei der AOK Schleswig-Holstein in der Geschäftsstelle Neumünster begonnen.

 

Nach mehrmaligem Ansprechen einer Schwimmkameradin aus dem Seniorenbereich bin ich 2002 erstmalig bei einem Schwimmwettkampf des DBS (Deutscher Behindertensportverband) gestartet.

 

Bei den Behinderten wird nicht in offenen Altersklassen oder in Jahrgängen geschwommen, sondern nach Startklassen. Die Klassifizierung wird einmalig national und einmalig international vollzogen. Die Startklassen sind abhängig von der Funktionsfähigkeit im Wasser. Hierbei kann es aber durchaus sein, dass in einer Startklasse Rollstuhlfahrer und Fußgänger konkurrieren. Eine Nebenerscheinung daraus ist z.B., dass nicht jeder aus dem Wasser, sondern teilweise vom Startblock innerhalb einer Startklasse gestartet wird.

 

Mein Trainingsaufwand beträgt pro Woche 20 – 25 Stunden.
4 – 12 x Wasser (zu je 2 Std.) und 3 – 6 x Athletik und Krafttraining (zu je 1 bis 2 Std.).
Eine Trainings-Einheit beinhaltet 3 bis 5 km, das ist abhängig vom Schwerpunkt des Trainingsprogramms.
Schwerpunkte können sein: Ausdauer, Sprints/Spurts, Stil, Technik, Atmung, Wenden und Starts, und im Trockentraining Kondition und Kraft.

 

Unterstützung bekomme ich in großem Maße von meiner Familie und vor allem von meinen Eltern. Mein Vater ist auch mein Trainer.

 

Mein Arbeitgeber, das Unfallkrankenhaus Berlin (UKB), gibt mir den nötigen Freiraum für das Training bzw. den Sport.Seit Februar 2013 bin ich als Protagonistin in dem Dokumentarfilm „Gold- du kannst mehr als du denkst“ zu sehen. Der Film lief im ganzen Land im Kino und ist seit Januar 2014 als DVD im Handel erhältlich. Zu meinen Tätigkeiten für das UKB und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), zählt auch das Promoten des Filmes. Mit dem Film werden nicht nur 3 Athleten in ihrem privaten Leben und bei ihrem Sport gezeigt, sondern auch 3 unterschiedliche Lebensgeschichten die zeigen wie wichtig Integration und Inklusion in unserer Gesellschaft sind. Mein Ziel ist es genau diese beiden Themen anhand von Erfahrungen, Erlebnissen und bestehenden Möglichkeiten unserer Gesellschaft näher zu bringen und umzusetzen.

 

Wie sieht ein typischer Trainingstag von Kirsten Bruhn aus?

6 h aufstehen, 7-9 h Training, 10-15h Job, 16-19 h Training, 19:30-20:30 h Mentaltraining.

 

Welche sportlichen Titel haben Sie in Ihrer Schwimmkarriere gewonnen?

  • Paralympisches Gold 2004, 2008 und 2012, (11 paralympische Medaillen insgesamt)
  • 65-fache Deutsche Meisterin
  • 54 Welt- und 64 Europarekorde
  • sechsfache Weltmeisterin
  • achtfache Europameisterin

 

Welche sportlichen Ziele haben Sie noch?

Gesund und zufrieden leben und immer schwimmen zu können.

 

Welchen Stellenwert hat Inklusion im Sport?

Den selben wie auch in der ganzen Gesellschaft. Jeder sollte die Möglichkeiten haben zu seinen Möglichkeiten sich zu bilden, zu reifen und sich zu entwickeln.

 

Welche Rolle können die Medien beim Mentalitätswandel zur Inklusion im Sport spielen?

 

Den Sport in seiner Vielfalt begleiten und nicht nur drei Sportarten wie Fußball, Handball und Formel 1.

Es gibt nicht nur die Sommer und  Winterparalympic. Es gibt ebenso deutsche-, Europa- und auch Weltmeisterschaften in den verschiedensten Sportarten jährlich. Darüber hinaus könnten die Medien Patenschaften mit Nachwuchsathleten eingehen und diese über ihre Vorbereitungen für die nächst anstehenden Events/Highlights begleiten.

 

Kann Sportberichterstattung dem Inklusionsgedanken entgegenstehen?

 

Zumindest nicht förderlich agieren in dem nichts präsentiert wird und entgegen wenn man den Sport und die Bewegung von Menschen mit Handicap schlecht redet und klein macht und die Unterschiede dem Zuschauer nicht erklärt und erläutert.

 

Wie kann Sportberichterstattung den Inklusionsgedanken fördern?

Siehe zwei Fragen vorher und eben das von der Frage zuvor beachten....z.B. die Unterschiede von einem Paul Biedermann im Freistilschwimmen zu einem paralympischen Athleten ohne Beinantrieb erklären. Techniken, Wasserlage, Sportgeräte auch dem unbeleckten Zuschauer näher bringen und erklären.

 

Wie werden von Inklusion betroffene Sportler staatlich gefördert?

In Deutschland werden / können Kaderathleten, egal ob mit oder ohne Behinderung oder Inklusion z.B. vom Verband, der Stiftung deutschen Sporthilfe, sich selbst, der Familie und/oder dem Schulsystem bzw. dem Arbeitgeber gefördert. 

 

 Welche Bedingungen müssen für von Inklusion betroffene Sportler verbessert werden?

Das würde ja dann für alle Athleten gelten. Wenn Inklusion dann betrifft es ja alle ob direkt oder indirekt ist dann ja irrelevant. Generell muss in Deutschland der Wert des Sports wieder gesehen und gelebt werden. Unser Bundespräsident a. D. Herr Joachim Gauck hat folgendes mal gesagt:

 

Der Sport baut Demokratie mit auf. 

 

(Zitat J. Gauck)

 

 

 

Erster Blick ....Spiel und auf den zweiten Gestaltung von Gesellschaft. 

 

(J. Gauck)

 

Wenn das verstanden und gelebt und umgesetzt wird, haben wir nicht nur weniger Krankheiten und Probleme sondern auch Inklusion verstanden.

 

Wie nehmen Sie Inklusion in deutschen Schulen wahr; was muss hierbei verbessert werden?

Das Verständnis für die Bedeutung von Inklusion muss einheitlich sein und die Bereitschaft und Geduld dafür benötigen wir dringend!!!

 

Welche Wünsche zur Inklusion haben Sie an die deutsche(n) Landesregierungen und die Bundesregierung?

Das der Sport, die Bewegung eines JEDEN 2x pro Woche zu seinen Fähigkeiten zur Pflicht erklärt wird und in den Schulen muss ohne Wenn und Aber der Sport ab der 1. Klasse 2-3 x pro Woche für mind. 60 Minuten aktiv und 1 x pro Woche theoretisch stattfinden.

 

Können Sie sich vorstellen ein politisches Amt zu übernehmen (z. B. Sportministerin oder Inklusionsbeauftragte der Bundesregierung)?

Wenn überhaupt dann Sportministerin. Aber ehrlich gesagt glaube ich das ist nichts für mich. Mir sagen Fakten zu und direkte Resultate. Viel diskutieren und sitzen würde mich killen. 

 

In Hamburg hat die Volksinitiative „Gute Inklusion für Hamburgs SchülerInnen“(http://gute-inklusion.de/ueber-uns/) innerhalb von wenigen Wochen 25.000 Unterstützerunterschriften der Hamburger Bürger erhalten. Können Sie sich vorstellen, die Volksinitiative als prominente Sportlerin ideel zu unterstützen? Wären Sie damit einverstanden, dass die Volksinitiative Sie als Unterstützerin namentlich nennen darf (http://gute-inklusion.de/unterstuetzer/)?

Unterstützen würde ich das immer und wenn es hilft darf man mich auch namentlich nennen. 

Liebe Kirsten Bruhn, vielen Dank für das Interview.