Eine jüngst veröffentlichte „Datengestützte Analyse zur Lage der Stadtteilschulen in Hamburg“ des Instituts für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung (IfBQ) zeigt, wie schwer es diese Schulen tatsächlich haben. Hierzu hat das Parents Magazin mit Frau Karin Prien das nachstehende Interview geführt.
Maik Findeisen (Parents Magazin):
Die Analyse zur Lage der Stadtteilschulen macht schwarz auf weiß deutlich, dass es dort sehr viele Schüler mit Förderbedarf gibt. Die Zahlen lesen sich zum Teil
dramatisch. Wie bewerten Sie die Analyse?
Karin Prien:
Die Analyse zeigt vor allem deutlich, dass man nicht alle Stadtteilschulen über einen Kamm scheren darf, sondern die konkreten Probleme jeder Stadtteilschule
isoliert betrachten muss. Dass es jedoch 19 Stadtteilschulen gibt, an denen mehr als 16 Prozent der Schülerinnen und Schüler LSE Förderbedarfe haben, ist mehr als erschreckend. Und dass gerade
die Stadtteilschulen, die über eine ohnehin belastete Schülerschaft verfügen, überproportional häufig von Flüchtlingen und Zuwanderern angewählt werden, erhöht die Herausforderung, die sich aus
der Kombination von Inklusion und Integration ergibt, für die Lehrer nochmals erheblich. Diese müssen mehr Unterstützung erhalten, vor allem im Umgang mit Kindern, die sozial-emotionale Probleme
haben und einen normalen Unterricht unmöglich machen. Hier muss auch an den grundsätzlich inklusiven Stadtteilschulen mehr äußere Differenzierung in kleinen Lerngruppen mit entsprechender
verbesserter Ressourcenausstattung zugelassen werden. Insgesamt muss man sich vom Gleichheitsmythos verabschieden.
Maik Findeisen (Parents Magazin):
Fünf von 22 Schülern in den fünften Klassen der Stadtteilschulen kommen aus schwieriger Wohnlage, sechs erhalten eine Sprachförderung, drei haben ein
sonderpädagogisches Fördergutachten. Wie kann geholfen werden? Welche schulpolitischen Veränderungen sind erforderlich?
Karin Prien:
Es muss verstärkt auf eine gerechtere Verteilung geachtet werden. Die kürzlich beschlossene Änderung des Schulgesetzes, die eine die freie Schulwahl für Flüchtlinge in öffentlicher Unterbringung mit dem Ziel beschränkt, die schulpflichtigen Flüchtlinge gleichmäßig auf die Schulen der Stadt verteilen zu können, ist ein Schritt in die richtige Richtung, um eine bessere Integration zu ermöglichen. Daneben muss darauf geachtet werden, dass auch nicht zu viele Inklusionskinder in einer Klasse sind. Daneben müssen die Mittel umverteilt werden; Förderressourcen soll es nur gezielt für Schüler mit entsprechender Diagnose geben, damit das zusätzlich benötigte Personal auch tatsächlich in den Schulen zur Verfügung steht, die es dringend brauchen.
Maik Findeisen (Parents Magazin):
Das Image der Stadtteilschulen ist nicht gut. Immer mehr Eltern melden ihre Kinder an den Gymnasien an. Was macht Schulsenator Ties Rabe falsch?
Karin Prien:
Die Eltern entscheiden sich oftmals nicht für das Gymnasium, sondern gegen die Stadtteilschule. Die Attraktivität der Stadtteilschulen muss dringend gesteigert
werden. Dazu bedarf es einer verstärkten Zweigleisigkeit zwischen dem wissenschaftlichen Zweig, der für Schüler vorzuhalten ist, die das Abitur anstreben und dem berufsorientierten Zweig, der den
Schülern frühzeitig den Weg zum Mittleren Schulabschluss und der erforderlichen Ausbildungsreife ebnet. Die Stadtteilschulen müssen flächendeckend Profile und Schwerpunktsetzungen anbieten, über
die sie in ihrem Stadtteil auch mit geeigneten Maßnahmen öffentlich informieren, um den Eltern eine echte Alternative zum Gymnasium zu bieten. Außerdem muss deutlich mehr in der frühkindlichen
Bildung und in der Grundschule getan werden, damit die Einstandsvoraussetzungen in Klasse 5 besser werden. Vieles, was bis Klasse 4 nicht erreicht wird, kann später gar nicht oder nur mit
überproportionalem Aufwand repariert werden. Man muss durchaus über Ressourcenumsteuerung in den KITA, Vorschule und Grundschulbereich nachdenken. Und schließlich muss man überall in der Stadt
wieder mehr die Eltern in die Verantwortung nehmen.
Maik Findeisen (Parents Magazin):
Woran liegt es, dass die Stadtteilschulen die Hauptlast der Inklusion tragen und eine ungleiche Verteilung der Flüchtlingskinder bemängelt wird?
Karin Prien:
Die flächendeckende Einführung der Inklusion, zeitgleich mit der Einführung der neuen Schulform "Stadtteilschule" war ein Fehler und hat die Herausforderungen für
Lehrer und Pädagogen extrem erhöht. Die Anzahl der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf an allgemeinen Schulen variiert an den einzelnen Stadtteilschulen erheblich.
Während es einige Stadtteilschulen gibt, an denen kaum ein Kind darunter fällt, gibt es andere, an denen mehr als 100 Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf unterrichtet werden. Wenn sich
an diesen Schulen auch noch übermäßig viele Flüchtlingskinder befinden, trägt die Kombination aus Inklusion und Integration zu kaum lösbaren Problemen. Gerade diese Schulen benötigen noch mehr
Sonder- und Sozialpädagogen. Daneben müssen sie die Möglichkeit erhalten, gerade in den Kernfächern, auch dauerhaft die Inklusionskinder separat in Kleingruppen zu unterrichten und ihnen genügend
pädagogisches Personal an die Seite zu stellen, um dem gesteigerten Aufmerksamkeitsbedürfnis dieser Kinder gerecht zu werden.
Maik Findeisen (Parents Magazin):
Die Schulleiter der Stadtteilschulen haben in ihrem Brandbrief an Schulsenator Ties Rabe die Sorge geäußert, die Stadtteilschulen können zu einer "Rest"-Schule
werden. Teilen Sie diese Sorge?
Karin Prien:
Ja, wenn auch natürlich längst nicht für alle Stadtteilschulen. Wie bereits gesagt, muss die Situation an jeder einzelnen Schule separat betrachtet werden. Gerade in sozial schwierigen Wohngebieten und an Stadtteilschulen, an denen nicht ein einziges Kind in der fünften Klasse mit Gymnasialempfehlung angemeldet wird, besteht dieses Risiko. Mit der Einrichtung von Gymnasialzweigen an einigen Stadtteilschulen könnte mehr Attraktivität ebenso erreicht werden, wie mit klar strukturierten Bildungsgängen ab Klasse 8, die einerseits gezielt zu einer praktischen Ausbildung hinführen und andererseits Richtung Fachhochschulreife oder Abitur.
Maik Findeisen (Parents Magazin):
Woran liegt Ihrer Ansicht nach das eher schlechte Image der Stadtteilschulen?
Karin Prien:
Es gibt einige stark angewählte Stadtteilschulen; die machen im Sinne der Eltern alles richtig. Wichtig ist es, dass die schlechter angewählten Stadtteilschulen und die, die über einen überdurchschnittlich hohen Anteil von Inklusions- und Integrationskindern verfügen, genügend Spielraum und personelle Unterstützung erhalten, um alle Kinder zum Abschluss zu bringen. Es darf nicht mehr sein, dass Schulabgänger nicht lesen, schreiben oder rechnen können. Aber auch hier gilt, dass viele Probleme bereits in den Grundschulen angelegt sind. Stadtteilschulen müssen ihr Profil noch mehr entwickeln und herausstellen und sollten über die ganze Stadt um Schüler werben können. Das Aufnahmeverfahren muss reformiert werden.
Maik Findeisen (Parents Magazin):
Können Hamburgs Eltern ihre Kinder guten Gewissens auf die Stadtteilschule schicken?
Karin Prien:
Grundsätzlich ja. Eltern von Viertklässlern sollen vor allem die Beratung und Empfehlung aus der Grundschule für die weitere Schullaufbahn ernst nehmen, um ihre Kinder auch vor Misserfolgen zu schützen. Andererseits müssen die Schulen hier noch gewissenhafter beraten. Kinder, die nicht für das Gymnasium geeignet sind, laufen Gefahr, nach der 6. Klasse abgeschult zu werden. Dieser Bruch in der Schullaufbahn schadet den Kindern und bringt große Probleme für das Schulsystem insgesamt.
Maik Findeisen (Parents Magazin):
Liebe Frau Prien, vielen Dank für das Interview.
Maik Findeisen:
Guten Tag Frau Prien, können Sie sich bitte kurz vorstellen.
Karin Prien:
Guten Tag Herr Findeisen, sehr gerne.
Geboren am 26.06.1965 in Amsterdam, verheiratet, drei Kinder.
1984 Abitur, 1984 bis 1990 Studium der Rechts- und Politikwissenschaften in Bonn, 1. Staatsexamen 1989, 1990 bis 1991 Postgraduiertenstudium in Amsterdam, Schwerpunkt Internationales Handelsrecht, Abschluss: LL.M., 1991 bis 1994 Rechtsreferendarin beim OLG Celle, Abschluss: 2. Staatsexamen.
1986 bis 1989 studentische Mitarbeiterin des Pressesprechers des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker.
Seit 1994 Rechtsanwältin im Tätigkeitsschwerpunkt Wirtschafts- und Insolvenzrecht in Hannover und Leipzig. Seit 2008 Fachanwältin für Handels- und Gesellschaftsrecht. Wirtschaftsmediatorin. Rechtsanwaltskanzlei Prinzenberg Prien & Partner Rechtsanwälte
Mitinitiatorin der Hirschparkrunde, Forum für Zukunftsfragen. Vorsitzende des CDU-Ortsverbandes Blankenese. Vorsitzende des MIT-Kreisverbandes Hamburg-Altona/Elbvororte.
Seit 7. März 2011 Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft
Stellvertretende Fraktionsvorsitzende
Fachsprecherin für Schulpolitik, Flüchtlinge sowie für Verfassung und Bezirke. Mitglied im Schulausschuss und im Ausschuss für Verfassung, Geschäftsordnung und Wahlprüfung.
Maik Findeisen:
Was macht Karin Prien, wenn sie nicht in der Hamburgischen Bürgerschaft und für ihre Partei tätig ist?
Karin Prien:
Meine Freizeit gehört der Familie. Wenn Zeit bleibt, spiele ich Tennis, koche mit Freunden und lese gerne.
Maik Findeisen:
Was bewerten Sie in der Hamburger Schullandschaft positiv?
Karin Prien:
Es gibt in Hamburg bereits langwierige Erfahrungen mit der Beschulung von Migranten.
Vielfältige Schulprofile und Ganztagsangebote sind vorhanden, jedoch greift hierfür das Wohnortprinzip, sodass viele Eltern diese Angebote für ihre Kinder leider nicht wählen können. Die Qualität der Ganztagsangebote ist leider nicht überall gut und bedarf der Optimierung. Sinnvoll wäre ein transparentes Ranking der vorhandenen Ganztagsangebote (z. B. Schuldatenbank), und ein neues Zugangssystem zu den weiterführenden Schulen..
Maik Findeisen:
Wie bewerten Sie die Integration von Flüchtlingskindern in die Hamburger Schullandschaft? Was läuft gut, was muss besser werden?
Karin Prien:
Die Internationalen Vorbereitungsklassen (IVK) und die Lerngruppen in den Zentralen Erstaufnahmeeinrichtungen (ZEA) sind positiv zu bewerten. Der Übergang von den IVK-Klassen in die Regelklassen ist u. a. aufgrund der Sprachschwierigkeiten noch zu optimieren.
Maik Findeisen:
Wie bewerten Sie die Inklusion in der Hamburger Schullandschaft? Was läuft gut, was muss besser werden?
Karin Prien:
Die großflächige Einführung der Inklusion u. a. an Hamburgs Stadtteilschulen ist weder sachgerecht noch optimal. Es wäre besser, wenn an Schwerpunkt-Schulen mit zeitlicher und personeller Intensität die Inklusion in die Schullandschaft behutsam aufgebaut würde. Im weiteren Verlauf sollte dann mit Augenmaß und der Erfahrung aus den Schwerpunkt-Schulen ein Übergang in weitere Schulen erfolgen.
Maik Findeisen:
Wie bewerten Sie das Thema „Schulbegleiter“ in der Hamburger Schullandschaft? Was läuft gut, was muss besser werden?
Karin Prien:
Die vorhandenen Finanzmittel und teilweise auch die Qualifikation der für die Schulbegleitung eingesetzten Personen sind häufig nicht ausreichend. Das Bewilligungsverfahren ist intransparent.
Maik Findeisen:
Wie nehmen Sie aus Ihrer Sicht die Situation auf den Hamburger Schultoiletten wahr? Haben Sie eine Idee bzw. kennen Sie Schulen wo der Vandalismus minimiert und die Hygiene in gutem Zustand ist?
Karin Prien:
Wenn Kinder in Hamburg die Schulklos nicht mehr benutzen können, weil sie entweder von Klo-Gebühren oder von Dreck und Zerstörung davon abgehalten werden, ist das nicht hinnehmbar. Toilettengänge nur gegen Geld gehen bei Schulkindern jedenfalls gar nicht. Die Schulbehörde muss Maßnahmen ergreifen, um für eine ausreichende Reinigung der sanitären Anlagen an unseren Schulen zu sorgen. Zustände, die die Gesundheit unserer Kinder gefährden, dürfen nicht geduldet werden. Das gilt insbesondere an den Ganztagsschulen. Wenn es an manchen Schulen nicht ausreicht, diese ein- bis zweimal täglich zu putzen, muss das eben öfter geschehen. Mittelfristig muss die Schulbehörde dafür Sorge tragen, dass in Zusammenarbeit mit Eltern, Lehrern, Schülern und Schulleitungen ein gemeinsames Konzept gefunden wird, wie gegen Vandalismus und extreme Verschmutzung an den Schultoiletten vorgegangen werden kann.
Hilfreiche Instrumente könnten z. B. eine Zielvereinbarung zwischen Schule, Eltern und Schülern sein, mit der eine Wertevermittlungskultur einher geht. Die Schüler sollten dadurch lernen mehr Verantwortung zu übernehmen.
Maik Findeisen:
Wie nehmen Sie die Drogensituation an den Hamburger Schulen wahr? Wie sollte aus Ihrer Sicht Drogenprävention erfolgen und wie sollte in Akutsituationen (Drogendeal, Drogeneinnahme) vorgegangen werden?
Karin Prien:
Für die Drogenprävention muss verstärkt das Know-how von Externen in die Schulen einbezogen werden. Außerdem muss es für Drogen eine Null-Toleranzpolitik geben.
In Akutfällen ist es Aufgabe der Polizei und von qualifizierten Therapieeinrichtungen einzugreifen bzw. zu unterstützen.
Maik Findeisen:
Voraussichtlich im Herbst 2017 kann der Neubau der Irena-Sendler-Schule bezogen werden. In diesem Zusammenhang soll die traditionsreiche Aula abgerissen und durch eine erheblich kleinere Multifunktionsräumlichkeit (Aula, Essensplätze) „ersetzt“ werden. Wie bewerten Sie den Abriss der traditionsreichen Aula und den Ersatz?
Karin Prien:
Unerfreulich und kurzsichtig. Die Blockadehaltung des Hamburger Senats, von Andreas Dressel und Christiane Blömeke sowie von Schulbau Hamburg ist sehr bedauerlich.
Maik Findeisen:
Welche Note geben Sie Ties Rabe für seine Tätigkeit als Schulsenator? Was macht Ties Rabe schulpolitisch gut und was läuft falsch?
Karin Prien:
Schulsenator Ties Rabe erhält von mir eine 4-. Rabe ist an pragmatischen Lösungen interessiert und kein Ideologe. Das ist positiv zu bewerten.
Aber leider hat Ties Rabe die Schulqualität zu wenig im Blick; Er setzt eher auf Masse statt Klasse und vernachlässigt vor allem die Basisqualifikationen schon in der Grundschule. Auch tut er zu wenig für die begabten Schüler. Die Stadtteilschulen sind auf dem besten Weg durch die Schulpolitik von Ties Rabe zu scheitern.
Maik Findeisen:
Was für eine Schulpolitik würde eine Schulsenatorin Karin Prien machen?
Karin Prien:
Als Schulsenatorin würde ich keine Schulstrukturdebatte führen, sondern die Schulqualität verbessern von Anfang an verbessern. Versäumnisse in der frühkindlichen Bildung und an der Grundschule können oft nicht mehr aufgeholt werden.. Bei der Inklusion würde eine Schulsenatorin Karin Prien „den Fuß vom Gaspedal nehmen“ und Fehlentwicklungen zurückdrehen. Den ersten und mittleren Bildungsabschluss würde ich stärken..
Maik Findeisen:
Liebe Frau Prien, danke für das Gespräch.