Birgit Stöver (CDU) im Interview mit Karsten Gödicke und Maik
Findeisen
vom Parentsmagazin–Hamburg am 11.Oktober 2017 im Hamburger
Rathaus
Guten Tag Frau Stöver,
Können Sie sich bitte kurz vorstellen:
Ich bin verheiratet, mein Mann und ich haben zusammen drei Söhne, zwei gehen bereits in die Schule, der Jüngste ist kurz davor. Nach meinem Studium der Lebensmittelchemie habe ich viele Jahre in der pharmazeutischen Industrie in verschiedenen Führungspositionen gearbeitet. 2015 bin ich zu einem großen analytischen Dienstleister gewechselt.
Ich bin seit 1990 Mitglied in der CDU und habe mit zunehmendem Engagement Verantwortung in meiner Partei und Fraktion übernommen. Seit 2008 vertrete ich den Wahlkreis Harburg für die CDU in der Hamburgischen Bürgerschaft. Ich bin seit 2016 stellvertretende Vorsitzende der Landespartei, seit wenigen Monaten bin ich nun auch stellvertretende Fraktionsvorsitzende und schulpolitische Sprecherin meiner Fraktion, nachdem ich zuvor viele Jahre als parlamentarische Geschäftsführerin die Abstimmungsprozesse meiner Fraktion koordiniert hatte.
Ich bin evangelisch-lutherisch – und mein Glaube beeinflusst auch meine Politik. Christliche Werte sollten auch das Denken und Handeln in der Politik bestimmen – dies betrifft vor allem die Würde des Menschen und Chancengerechtigkeit für jeden von Anfang seines Lebens.
Was macht Birgit Stöver wenn sie nicht in der Hamburgischen Bürgerschaft und für ihre Partei tätig ist?
Die Bürgerschaft ist ein Teilzeitparlament – d.h. ich bin erwerbstätig und arbeite als Abteilungsleiterin in einem weltweit tätigen analytischen Dienstleister. Sehr wertvoll ist für mich die Zeit mit meinen drei Jungs und meinem Mann. Musik und Sport sind dann wesentlich für unsere gemeinsamen Aktivitäten.
Was hat Sie bewogen in die Politik zu gehen?
Ich komme aus einer Familie, in der man sich immer politisch engagiert hat – das hat mich sehr geprägt. Aus diesem ehrenamtlichen Engagement heraus entwickelte es sich dann, dass meine Partei und Fraktion mir zunehmend Aufgaben und Verantwortung übertragen haben.
Welche Motivation hatten Sie, sich als schulpolitische Sprecherin zu engagieren?
Mein Mann und ich haben zusammen drei Söhne, die in Hamburg zur Schule gehen bzw. kurz davor stehen. Wir sind mit dem Hamburger Schulalltag also bestens vertraut! Vorweg: Viele Lehrerinnen und Lehrer machen einen tollen Job, sind sehr motiviert und kompetent. Aber bzgl. der Rahmenbedingungen hapert es – und da möchte ich meinen Beitrag leisten, dass Bildungspolitik gerechter wird, so dass alle Kinder die gleichen Chancen haben und entsprechend ihren Fähigkeiten gefördert werden. Wir können uns aber auch den Leistungsanforderungen, die Gesellschaft und Wirtschaft stellen, nicht verschließen. Ich sage bewusst auch Gesellschaft, denn Bildung ist nicht nur dazu da, die Kinder fit für den Arbeitsmarkt zu machen, sondern auch dazu, sie zu selbstbewussten, kritischen, verantwortungsbewussten und damit ethisch handelnden Personen zu erziehen. Kurz: Neben der beruflichen Kompetenz darf die „Herzensbildung“ nicht zu kurz kommen.
Legen Sie als schulpolitische Sprecherin ihrer Fraktion und ausgebildete Lebensmittelchemikerin besonderen Wert auf das Schulessen?
Ja. In manchen Elternhäusern wird – aus welchen Gründen auch immer – die Grundlagen für eine gesunde Ernährung nicht mehr gelegt. Das ist eine Tatsache, der man sich stellen muss. Gesundheit fängt beim Essen an! Wenn die Kleinen frühzeitig lernen, wie wichtig für ihr weiteres Leben eine gesunde Ernährung und Lebensweise ist, haben wir im Sinne von Gesundheitsprävention schon sehr viel erreicht. Und deshalb sollte auch an den Schulen selbst gekocht und kein Catering bestellt werden.
Viele Kinder gerade aus ärmeren Stadtteilen gehen ohne Frühstück in die Schule. Ist es für Sie eine Option, in der Schule ein Frühstück für Alle anzubieten?
Das Problem ist ja in vielen Fällen, dass einfach die Gewohnheit und die Selbstverständlichkeit fehlt, dass Mahlzeiten gemeinsam eingenommen werden – auch das Frühstück. Ich warne aber davor, Eltern zu voreilig Kompetenzen abzusprechen. Die meisten Eltern kommen ja liebevoll ihrer Fürsorgepflicht nach. Besser wäre es, an dieser Stelle die Kompetenzen der Eltern wieder zu stärken, so dass hier die Schule gar nicht erst einspringen muss. Man kann ja das eine tun und das andere nicht lassen. Also: an einzelnen Grundschulen, an denen Lehrer dieses Problem feststellen, kann dies eine Lösung sein. Grundsätzlich sollte man aber diese gemeinsame Mahlzeit in den Familien lassen und durch eine entsprechende Sozial- und Familienpolitik Familienkompetenz stärken. Außerdem sind Mitschüler i.d.R. gerne bereit zu teilen oder zu tauschen, das erlebe ich im Schulalltag meiner Kinder sehr häufig.
2010 haben die Hamburger in einem Volksentscheid sich gegen das längere gemeinsame Lernen ausgesprochen. Das gilt es zu
akzeptieren. Es laufen noch Schulprojekte, die es gilt nach deren Ablauf zu evaluieren.
Ich bin der Meinung, dass es einen Schnitt zwischen Grundschule und weiterführender Schule geben muss. Es kann sein, dass bei einer Auswertung heraus kommt, dass nicht nach 4 Jahren sondern nach
5 oder 6 der ideale Zeitpunkt für Mädchen wie für Jungs ist.
Da treffen Sie einen wunden Punkt bei mir, denn dass viele Frauen in der CDU Hamburg mit der Listenaufstellung zur Bundestagswahl unzufrieden gewesen sind – einschließlich mir – ist ja nun kein Geheimnis. Derzeit arbeiten wir in der CDU Hamburg daran, wie wir es schaffen, dass in unserer Partei auch mehr Frauen echte Chancen auf ein politisches Mandat erhalten. Wir Frauen sind manchmal einfach noch zu zurückhaltend, wenn es um Machtpositionen geht. Im Bundestagswahlkampf waren v.a. die Wahlkreise, die fast ausschließlich mit Männern besetzt waren, der Pferdefuß für eine gute Frauenbeteiligung. Als Frau wird man auch schnell kritisch beäugt, wenn man sich im politischen Betrieb behauptet. Da muss sich auch die Sicht auf durchsetzungsstarke Frauen ändern.
Das System „Fördern statt Sitzenbleiben“ sieht vor, dass der Förderunterricht auch von geeigneten Schülerinnen und Schülern durchgeführt werden darf. Sind Sie der Meinung, dass die SchülerInnen in der Lage sind das aufzuarbeiten, was Lehrern im Vorjahr nicht gelungen ist?
Viele Schulen sprechen sich mittlerweile für die Wiedereinführung von Klassenwiederholungen aus. Wiederholungen, die fachlich und pädagogisch begründet sind und für die ein Votum der Zeugniskonferenz vorliegt, sollten wieder möglich werden. Somit würden wir Schülerinnen und Schüler zu ehrlichen schulischen Erfolgserlebnissen verhelfen.
Natürlich kann Nachhilfeunterricht nur bedingt das aufholen, was von Schülern binnen eines Jahres nicht gelernt und/oder von Lehrern nicht gelehrt worden ist. Das Programm „Fördern statt Wiederholen“ wird von mehreren Schulen als unzureichend kritisiert und bedarf dringend einer Nachsteuerung. Der Vorschlag der CDU-Bürgerschaftsfraktion in einem Antrag war dazu folgendermaßen: Die Schulen werden stärker bei der Konzeption ihrer Fördermaßnahmen von Seiten des LI unterstützt. Die verpflichtende Förderung beginnt nicht erst, wenn die Leistungsanforderungen in einem oder mehreren Fächern oder Lernbereichen nicht erfüllt wurden, sondern bezieht auch gefährdete Schülerinnen und Schüler mit ein. Die Förderangebote beziehen sich an allen Schulen nicht nur auf die Kernfächer, sondern auch auf die Nebenfächer. Es werden ausreichend Ressourcen für einen Förderunterricht durch schuleigene Kräfte und die Abstimmung zwischen Fachlehrer und Förderlehrer bereitgestellt. Ein Förderunterricht von Schülern kann nur flankierend sein und muss mit klaren Aufgaben von Lehrerseite vorbereitet werden.
Ist Ihrer Meinung nach das System mit den Basisklassen und den internationalen Vorbereitungsklassen zur Vorbereitung auf den Regelunterricht für jugendliche Schutzsuchende bereits ausgereift?
Das System der Basisklasse und dann nachfolgend die Internationale Vorbereitungsklasse ist erstmal richtig. So können Kinder, die weder die deutsche Sprache noch die lateinische Schrift kennen, zunächst einmal „Alphabetisiert“ werden. Hier besteht schon ein Defizit in der Lehrerfortbildung, viele Lehrer werden ohne Vorbereitung in Basis- oder IVK-Klassen beordert. Danach sollen die Schüler idealerweise mit einem angepassten Wissensstand zumindest in den Kernfächern in die Regelklasse kommen – und da hapert es an dann am meisten. Leider aber hat der Senat weder bei der gerechteren Verteilung an den Schulen noch bei den Regelungen zum Übergang von IVK-Klassen in die Regelklassen Lösungsansätze anzubieten. D.h. die Kinder werden überwiegend an Schulen in sozialen Brennpunkten in Basisklassen und IVK gesteckt. Und auf die Frage, wie die Lehrkräfte neben der Herkulesaufgabe Inklusion jetzt auch noch die zusätzliche Integrationsleistung stemmen sollen, hat der Senat noch keine Antwort. Die Konsequenzen für Versäumnisse auf diesem Gebiet werden wir erst in einigen Jahren spüren.
Auf diese Frage werden Sie definitiv kein abschließendes Votum erhalten. Der Schulfrieden gilt noch bis 2020. In der Diskussion gilt es im nächsten Jahr das Für und Wider abzuwägen und eine kluge Entscheidung zu treffen. Natürlich sehen wir in Hamburg, was unsere Nachbarländer in dieser Frage entscheiden. Doch die Hamburger Situation ist vielfältig und anders. In einer Befragung der Schulkonferenzen haben sich 87 % der Gymnasien zudem gegen eine Rückkehr zu G9 ausgesprochen und sie haben viele Vorschläge für die Weiterentwicklung von G8 gemacht. Für mich steht die Qualität der Bildung im Vordergrund nicht die Struktur.
Was muss aus Ihrer Sicht unternommen werden um die Leistungen in den Kernfächern Mathematik, Deutsch und Englisch nachhaltig zu verbessern?
Hierzu haben wir einen Antrag gestellt: zum einen müssen unsere Bildungspläne im Hinblick auf die häufig genannten Belastungen sehr genau untersucht und auf Basis der Ergebnisse und unter Einbeziehung der Rückmeldungen von Ausbildungsbetrieben und Hochschulen überarbeitet werden. Wir müssen uns darin auf den wichtigen und zeitgemäßen Stoff konzentrieren, ohne zeitgleich das Anforderungsniveau abzusenken. Gleichzeitig ist eine bessere Abstimmung und Vernetzung von Lerninhalten über die Fächer hinweg anzustreben, mit dem Ziel, aufbauendes, ergänzendes Lernen zu erreichen. Insgesamt brauchen wir ein ausgewogenes Verhältnis: Lernziel muss fachliches Wissen und Kompetenzen sein. Zum anderen muss sich dieses auch in der Lehreraus- und -fortbildung widerspiegeln, daher fordern wir eine umfangreiche Fortbildungsoffensive.
Zukunftsweisend geht es darum, von Experten die Bewertung und Empfehlungen zu sichten und die Zukunft z.B. des Mathematikunterrichts zum Besseren zu verändern.
Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Leider muss man sagen, dass das Inklusionskonzept des Senats in dieser Form gescheitert ist. Es fehlen ein durchdachtes Konzept, eine angemessene Ressourcenausstattung, entsprechend qualifizierte Lehrkräfte und eine ehrliche Diskussion darüber, wo Inklusion Grenzen gesetzt sind. Künftig müssen wir die Fehler bei der flächendeckenden Einführung der Inklusion an den Stadtteilschulen korrigieren. Keinesfalls dürfen wir die gleichen Fehler an den Gymnasien wiederholen.
Ich plädiere für einen konzeptionellen Neuanfang. Dabei haben m.E. die Förderschulen weiterhin einen Anteil. Es geht mir um eine ehrliche Betrachtung von Möglichkeiten und Grenzen eines inklusiven Unterrichts. Entscheidend muss das Wohl aller Kinder sein – mit und ohne Behinderung!
Das Hamburger Schulgesetz gibt jedem Kind / Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf die Möglichkeit am Regelunterricht der Stadtteilschulen und Gymnasien teilzunehmen. Wie können Ihrer Meinung nach die Gymnasien motiviert werden, sich ihrer Verantwortung zu stellen und mehr dieser SchülerInnen aufzunehmen?
Gymnasien müssen und sollen ihren Teil in Sachen Inklusion tragen, wenn dieses auch zahlenmäßig aufgrund des Leistungsniveaus weniger ist – obwohl ihnen wie den anderen Schulen auch eine angemessene Ressourcenausstattung fehlt. Der Bildungsauftrag des Gymnasiums und ein weiterhin hohes Niveau muss dabei erhalten bleiben. Vorrangiger Auftrag der Gymnasien ist es doch, Schülerinnen und Schüler zu einem qualitativ hochwertigen Abitur zu führen.
Die Forderungen nach Barrierefreiheit und angemessene Räume ist eine Grundvoraussetzung und muss zeitlich definiert umgesetzt werden
Auch ist mehr pädagogisches, therapeutisches und pflegerisches Personal: grundsätzlich richtig, doch ohne ein Konzept der Umsetzung, bleibt unklar wo die Ressourcen einzusetzen sind. Zumal ich darauf hinweise, dass die Förder- bzw. Sonderschulen weiterhin ihre Berechtigung haben.
Forderung nach Umsetzung binnen eines Jahres: ist kaum realistisch, da die entsprechenden Fachkräfte, wenn denn die entsprechenden finanziellen Mittel bereit gestellt werden, auf einem leer gefegten Arbeitsmarkt schwer zu bekommen sind.
Was erwarten Sie von SPD und Bündnis90/Die Grünen bei den Verhandlungen mit der Volksinitiative "Gute Inklusion für Hamburgs SchülerInnen"?
Hoffentlich mehr als Senator Rabe am 11.07.17 in der Anhörung im Schulausschuss in Aussicht gestellt hat. Ich erinnere daran, dass er aussagte: Es seien ausreichend Ressourcen vorhanden, sie müssen nur effektiv eingesetzt werden. Das halte ich für falsch.
Weiter muss es klare Aussagen zur Umsetzung der Barrierfreiheit an Hamburger Schulen geben ohne Ausflüchte.
Welche Note geben Sie Ties Rabe für seine bisherigen Leistungen als Schulsenator? Was macht Ties Rabe schulpolitisch gut und was läuft falsch?
Im Zusammenhang mit dem Einsetzen der Expertenkommission für den Mathematikunterricht habe ich mich ja schon geäußert, für Herrn Rabe müsse das Notenspektrum erweitert werden, wenn man sich schon für das Einsetzen einer längst überfälligen Expertenkommission feiert. Doch Spaß beiseite, die Note lautet 4 - , Versetzung gefährdet. Der Senator ordnet an, lässt dann aber die Schulen mit der Umsetzung und unzureichenden Ressourcen im Regen stehen.
Welche Parteien werden im Jahre 2020 in Hamburg den Senat bilden?
Wir wollen ab 2020 wieder für die Hamburger im Senat Verantwortung übernehmen. Am nächsten ist uns in unseren politischen Zielen die FDP.
Was ändert sich in der Hamburger Schulpolitik wenn Birgit Stöver im Jahre 2020 Schulsenatorin wird?
Unsere Schulen müssen für die Herausforderungen Inklusion und Integration entsprechend gerüstet werden – nicht nur finanziell, sondern auch personell. Dafür muss der Lehrerberuf wieder attraktiver gemacht und in der Aus- und Fortbildung nachjustiert werden. Wir machen diesen Beruf aber nicht attraktiver, wenn wir den Lehrern immer mehr Aufgaben insbesondere aus dem sozialen Bereich aufdrücken. Wir müssen ehrlich sein: was können wir von Schulen und Lehrerinnen und Lehrern verlangen – und was nicht?
Für weitere Aufgaben brauchen wir pädagogische Mitarbeiter, Schulsozialarbeiter und anderes hierfür qualifiziertes Personal – wohl wissend, dass diese auf dem Arbeitsmarkt zum Teil rar gesät sind.
Unsere Schullandschaft muss vielfältig bleiben, die Einheitsschule in Hamburg lehne ich ab! Ich stehe zu dem Gymnasium. Dieses ist nicht umsonst bei Eltern die beliebteste Schulform!
Wir brauchen unterschiedliche Schulabschlüsse, bei denen garantiert ist, das die Schülerinnen und Schüler ordentlich lesen, schreiben und rechnen können. Wir brauchen keine Debatten über Strukturen, sondern sollten uns auf die Qualität von Schule und Bildung konzentrieren.
Karsten Gödicke und Maik Findeisen: Vielen Dank für das Interview liebe Frau Stöver.